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Eismeister Zaugg: Den Dritten beissen die Hunde und kein Grund zur Sorge

Miks Indrasis of Latvia, right, fights for a puck with Andrea Glauser, center, and goalie Joren Pottelberghe of Switzerland during the group B match between Latvia and Switzerland at the ice hockey wo ...
Wehrhafte Letten, (ein bisschen) nachlässige Schweizer und ein Joren van Pottelberghe in undankbarer Rolle: Das letzte Gruppenspiel geht verloren.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Die Niederlage ist kein Problem – es geht jetzt um die Goalie-Frage

Die Schweizer kassieren im letzten Gruppenspiel in einem «halben Viertelfinal» gegen Lettland in der Verlängerung (3:4) die erste Niederlage. Kein Problem. Entscheidend und brisant ist vor dem Viertelfinal gegen Deutschland die Goalie-Frage.
24.05.2023, 03:0524.05.2023, 13:21
klaus zaugg, riga
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Lettland braucht unbedingt einen Punkt, um zum ersten Mal seit fünf Jahren in den Viertelfinal vorzurücken. Für die Schweizer hat die Partie hingegen keinerlei Bedeutung. Sie stehen bereits vor dem letzten Spiel als Gruppensieger fest und Deutschland wird der Gegner sein. Also ist es ein «halber Viertelfinal»: Für die einen (die Letten) «alles oder nichts» und für die anderen (die Schweizer) «um nichts».

Ohne Nico Hischier, ohne Nino Niederreiter, ohne Denis Malgin, ohne Dean Kukan, ohne Leonardo Genoni (Ersatz) und Robert Mayer (auf der Tribüne): Einen solchen «Schonwaschgang» im letzten Gruppenspiel können sich nur die Grossen leisten.

epa10648696 Latvia's supporters cheer during the preliminary round group B match between Switzerland and Latvia at the IIHF Ice Hockey World Championship 2023 in Riga, Latvia, 23 May 2023. EPA/TO ...
Die Schweiz ist Teil eines lettischen Hockeyfests.Bild: keystone

Die Niederlage ärgert die Spieler. Sie stapfen nach der Partie doch recht hässig Richtung Kabine. Auskunft geben sie den wartenden Schreibenden und Sendenden trotzdem. Brisante Aussagen macht keiner.

Patrick Fischer ist trotz allem mit dem Auftritt seiner Mannschaft zufrieden. Er stellt klar, dass man die Partie sicher nicht verschenkt oder gar absichtlich verloren habe. «Aber es ist schwierig, sich auf solche Spiele einzustellen.»

Die Schweizer sind in einem wilden Spektakel hin und wieder ein wenig nachlässig und kassieren zu viele Strafen und den Siegestreffer der Letten in der Verlängerung in Unterzahl. Sie dominieren einen leidenschaftlichen, schnellen, mutigen Gegner (32:28 Torschüsse). Noch vor 15 Jahren wäre unser WM-Team hoch konzentriert und bis auf die Fingerspitzen motiviert nicht zu einer solchen Leistung fähig gewesen.

Erkenntnisse im Hinblick auf den Viertelfinal vom Donnerstag lassen sich aus dieser Partie keine gewinnen. Andres Ambühl – der «ewige Spieler» buchte seinen 4. Treffer bei diesem Turnier – mag aus dem Spiel keine Schlussfolgerungen ziehen und bringt es auf den Punkt:

«Alles beginnt gegen Deutschland wieder von vorne.»

So einfach. So klar. So wahr. Die Niederlage gegen Lettland ist kein Grund zur Sorge. Unsere WM-Geschichte von 2023 muss nicht neu geschrieben werden.

Spiele ohne Bedeutung wie gegen Lettland sind bei der WM die Möglichkeit, den dritten Torhüter zu testen. Wer weiss, vielleicht entdecken wir ja so den nächsten Leonardo Genoni.

Head coach Patrick Fischer of Switzerland reacts during the group B match between Latvia and Switzerland at the ice hockey world championship in Riga, Latvia, Tuesday, May 23, 2023. (AP Photo/Roman Ko ...
Patrick Fischer hat die Qual der Wahl im Viertelfinal.Bild: keystone

Seit Leonardo Genoni 2017 die Nummer 1 der Nationalmannschaft geworden ist, konnten wir bei diesen Versuchen keinen neuen WM-Helden entdecken. Mit einer Ausnahme, auf die wir noch zurückkommen werden.

Sandro Zurkirchen, Niklas Schlegel, Gilles Senn, Melvin Nyffeler oder Sandro Aeschlimann – Titanen der Liga – sind auf WM-Niveau Hinterbänkler geblieben.

Das Problem: Den dritten Goalie beissen bei der WM die Hunde. Sie kommen dann zum Zuge, wenn Niederlagen keine oder fast keine Rolle spielen. Wenn alle wissen, dass es nicht soooo wichtig ist, wird es für den Torhüter schwierig. Es sind die undankbarsten Partien überhaupt.

Gegen Lettland durfte nun Joren van Pottelberghe (25) die Rolle des unglücklichen dritten Mannes übernehmen. Sein erster WM-Einsatz. Die Partie geht verloren und seine Fangquote (85,71 Prozent) ist miserabel. Und doch ist er der aussichtsreichste Kandidat für die Nachfolge von Leonardo Genoni aus der heimischen Liga. Die NHL-Entdeckung Akira Schmid (23) war noch nie bei der WM und es wird jedes Jahr fraglich sein, ob er zur Verfügung steht.

Goalie Joren Pottelberghe of Switzerland drinks during the group B match between Latvia and Switzerland at the ice hockey world championship in Riga, Latvia, Tuesday, May 23, 2023. (AP Photo/Roman Kok ...
Joren van Pottelberghe bleibt die undankbare Rolle des dritten Torhüters.Bild: keystone

Noch ist Leonardo Genoni (35) da. Und zum ersten Mal seit fünf Jahren haben die Schweizer in Riga überraschend einen zweiten Torhüter für grosse, internationale Spiele: Robert Mayer (33).

Er ist der einzige dritte Mann der «Ära Genoni», den die Hunde nicht dauerhaft gebissen haben. Noch 2019 war er bei seiner dritten WM-Teilnahme die chancenlose Nummer 3.

Nach dem missglückten HCD-Abenteuer schien seine internationale Karriere im Frühjahr 2020 sowieso beendet.

Und nun sorgt er für Denkarbeit bei Patrick Fischer. Servettes Meistergoalie spielt in Riga sein bestes Hockey. Das Hockey, das von ihm aufgrund seines Talentes seit gut zehn Jahren erwartet worden ist. Er hat dreimal den Sieg festgehalten: gegen Norwegen ohne Gegentreffer. Dann aber auch gegen die Slowaken und vor allem im bisher intensivsten und besten Spiel in Riga gegen Tschechien.

Am Ende dieser WM, wenn sich der Weihrauch des Ruhmes oder der Pulverdampf der Polemik verzogen haben, wenn alles diskutiert und analysiert ist, wird der Torhüter das Thema bleiben.

Ob die Schweizer gegen Deutschland den Viertelfinal gewinnen, hängt auch davon ab, ob Patrick Fischer den richtigen Mann ins Tor stellt.

Seit der Silber-WM von 2018 bis zum WM-Start 2023 hat es keine Torhüter-Diskussion gegeben. Leonardo Genoni, der Silber-Held von 2018, ist der Mann der entscheidenden Spiele. Punkt. Und nun auf einmal eine ketzerische Frage: Ist er das immer noch?

Seit 2018 hat die Schweiz mit Leonardo Genoni alle Viertelfinals bei Titelturnieren verloren. Bei der WM 2019, 2021 und 2022 und beim Olympischen Turnier von 2022. Nein, nicht wegen der Torhüterleistung. Aber die Schweizer haben eben auch nicht dank Leonardo Genoni diese Viertelfinals überstanden.

Setzt Patrick Fischer auf Leonardo Genoni und wir scheitern im Viertelfinal, dann wird sich die Diskussion nicht um verpasste Torchancen, ungenügendes Powerplay oder zu offensive oder zu defensive Spielweise drehen. Sondern um die Wahl des Goalies. Kritiker werden sagen, mit dem aggressiveren, wehrhafteren Nonkonformisten Robert Mayer (er mahnt ein wenig an den legendären NHL-Star Ron Hextall) hätten wir die Deutschen gepackt.

Switzerland's goaltender Robert Mayer looks on the puck, during the IIHF 2023 World Championship preliminary round group B game between Switzerland and Slovakia, at the Riga Arena, in Riga, Latvi ...
Robert Mayer überzeugt – und stellt eine echte Alternative zu Leonardo Genoni dar. Bild: keystone

Gibt der Nationaltrainer Robert Mayer den Vorzug und wir verlieren gegen Deutschland, dann heisst es: Wie kann einer, der bei Verstand ist, auf den grossen Leonardo Genoni verzichten? Der ruhige, smarte, eher konventionelle Stilist hätte die Deutschen zur Verzweiflung gebracht.

Wen er morgen gegen Deutschland einsetzen wird, lässt Patrick Fischer offen. Zum ersten Mal seit der WM 2018 ist zumindest theoretisch nicht mehr in Stein gemeisselt, dass Leonardo Genoni für den Viertelfinal gesetzt ist.

Die Erfahrung lehrt, dass Coaches bei solch heiklen Fragen das Risiko meiden und auf eine konservative Lösung setzen.

Die heisst in diesem Fall: Vorteil Leonardo Genoni.

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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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UncleHuwi
24.05.2023 07:15registriert Mai 2015
Die logische Wahl gegen Deuschland wäre Mayer. Er spielt aggressiver und würde noch mehr über sich hinaus wachsen. Ich liebe Genoni aber Mayer hat es verdient im 1/4 Final zwischen den Pfosten zu stehen.
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Historiker
24.05.2023 07:55registriert Oktober 2019
Ich verstehe die Rochade im letzen Spiel nicht ganz. Wenn Genoni spielen sollte, hätte er 2x hintereinander nicht gespielt. Dieses Experiment ist schon letztes Jahr voll in die Hose gegangen. Genoni spielte dann gegen die USA ungewohnt schwach (85%), anders wie wenn er im Rythmus ist. Rochade zwischen 2 Goalies ist ja sinnvoll, aber wieso muss der dritte auch Spielpraxis erhalten?? Ist ja kein Plauschturnier. Ich hoffe daher Meyer spielt am Donnerstag, allerdings müsste er dann meiner Meinung nach auch ein allfälligen HF und F spielen...
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Bergfux
24.05.2023 07:04registriert September 2021
Das Spiel gegen Lettland hat meiner Meinung nach diverse Erkenntnisse gebracht.
Einem Goali der während der ganzen Saison genau 11 Spiele auf höchsten Niveau (National League oder Nationalmannschaft) bestritten hat, fehlt einfach der Rhythmus. Dementsprechend strahlte er gestern auch diese fehlende Spielpraxis aus, indem er sehr viele Abpraller zuliess.
Er hat bestimmt viel Talent, aber in der jetzigen Situation, ist er definitiv nicht der richtige Mann in der Nati und wird es, wohl auch nicht sein, wenn in Biel Säteri weiterhin soviel spielt.
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